Leseprobe „Fesseln der Zärtlichkeit“

Doch auch am nächsten Morgen erreichte er sie nicht. Sie hatte seine Nummer also immer noch blockiert. Resignierend schob er das Handy in seine Hosentasche und fuhr zur Arbeit. An konzentriertes Arbeiten war nicht zu denken, seine Gedanken kreisten nur um Gwen und er musste mit Gewalt die Tränen zurückhalten. Egal wie oft er sich verfluchte, er konnte die Zeit nicht zurückdrehen und seinen Fehler ungeschehen machen.
Gwen hatte sich zwei Tage lang in ihrem Bett vergraben, dann war sie aufgestanden, hatte den Kopf gehoben und war zu ihren Pferden gefahren. Hier fand sie Trost, wie immer, wenn in ihrem Leben etwas schief lief. Habiti schnaubte und stupste sie an, als sie ihr Gesicht in ihrer Mähne vergrub.
Ihr Herz war schwer, aber wenigstens konnte sie aufhören zu weinen. Sie war enttäuscht und verletzt, trotzdem vermisste sie ihn. Gerne hätte sie seine Stimme gehört, sein überlegenes Lächeln gesehen und sich dann in seine Arme geworfen. Nur konnte sie das alles nicht, weil er sie nicht wollte und als Spielzeug war sie sich einfach zu schade. Ihr Verstand kämpfte mit ihrem dummen Herzen und sie hoffte, dass der Verstand irgendwann gewinnen würde.
Sie hob ihren Kopf und sah in die sanften, braunen Augen von Habiti. Wieso musste sie ausgerechnet jetzt daran denken, wie viel Angst Ben vor den beiden Pferden gehabt hatte? Alles hier erinnerte sie an ihn und sie seufzte leise.
In ihrer Wohnung dachte sie auch ständig an ihn, sah ihn vor ihrem inneren Auge, wie er auf der Couch saß oder auf dem Balkon. Verzweifelt versuchte sie, diese Bilder zu verscheuchen. So glücklich würde sie nicht mehr werden, denn es war ja nur ein Schauspiel gewesen. Er hatte sie nie wirklich geliebt, sonst hätte er ihr das auf der Messe nicht angetan. Immer wieder betete sie sich das vor, wie ein Tantra, bis die kleinste Stimme verschwunden war, die Partei für ihn ergriffen hatte. Trotzdem blieb eine Wunde in ihrem Herzen, die sich einfach nicht schließen wollte.
Die Zeit verging und der Alltag hatte Gwen wieder, dabei vergrub sie sich in ihrer Arbeit, damit sie nicht an Ben denken musste. Tagsüber klappte das auch hervorragend, nur abends, wenn sie alleine in ihrer Wohnung saß, kamen die Gedanken mit Gewalt zurück. Oft unterdrückte sie die Tränen und genauso oft schob sie den Wunsch, doch noch mal bei ihm anzurufen, zur Seite.
Sky meldete sich bei ihr und fragte nach, wie es ihr ging, aber sie war in erster Linie Bens Freundin. Also antwortete Gwen freundlich distanziert und beendete das Gespräch so schnell sie konnte. Dummerweise mochte sie die Frau und hätte die Bekanntschaft gerne ausgebaut, nur unter diesen Umständen klappte das einfach nicht. Viele Freunde, die von ihrer Leidenschaft wussten, hatte sie nicht und so fehlte ihr die Schulter zum Ausweinen. Ebenso fehlte ihr jemand, der ihr einen Rat geben konnte, wie sie mit der Situation umgehen sollte.
Auch Ben vergrub sich in seiner Arbeit als Kundenberater. Er übernahm jede Schicht, machte Überstunden und doch reichte es nie, um ihn wirklich abzulenken. Jeden Abend öffnete er das Forum, in dem er Gwen kennengelernt hatte, und sah sich ihr Profil an. Wie sehr wünschte er, die Zeit zurückdrehen zu können und seinen Fehler auszuradieren. Er vermisste sie mehr, als er es sich selbst vorstellen konnte. Nichts bereitete ihm Freude, das Essen schmeckte ihm nicht und selbst seine Seile rührte er nicht an. Ab und zu telefonierte er mit Merlin oder Sky, aber ansonsten zog er sich völlig zurück. Er fiel in ein tiefes, schwarzes Loch, aus dem er auch nicht heraus wollte, zu sehr plagten ihn die Selbstvorwürfe.
Die Zeit verging, nur die Sehnsucht nach Gwen blieb. Andere Frauen interessierten ihn einfach nicht und jeden Tag atmete er auf, wenn er in ihrem Profil sah, dass sie noch keinen neuen Partner gefunden hatte.
Gwen ging es ganz ähnlich, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte. Sie vermied es sein Profil anzusehen, aber sie vermisste ihn immer noch. Jeden Abend wünschte sie sich verzweifelt, wieder in seinen Armen zu liegen. Gleichzeitig war sie davon überzeugt, dass er sie nur benutzt hatte. Es gab Abende, an denen ihr das egal war, da wäre sie sogar zufrieden gewesen seine Zweitbesetzung zu sein, Hauptsache sie konnten zusammen sein. Ärgerlich schüttelte sie diese Gedanken mit Gewalt ab, so tief wollte sie nicht sinken. Entweder ganz oder gar nicht.
Der Sommer war vorüber und der Herbst färbte die Blätter bunt, als Gwen wieder mal mit Lena ausritt.
„Was ist bloß los mit dir?“, erkundigte Lena sich.
Gwen zwang sich zu einem Lächeln und zuckte mit den Schultern, während sie Malika zügelte, die gerne laufen wollte.
„Nichts, wie kommst du denn darauf, dass etwas los ist?“, fragte sie zurück.
Forschend sah Lena sie an und schüttelte dann den Kopf.
„Mensch Gwen jeder kann sehen, dass du alles andere als glücklich bist. Seit du mit diesem Ben auseinander bist, hast du dich verändert“, antwortete sie.
Erschrocken blickte Gwen sie an, war es so offensichtlich, dass sie litt? Dummerweise hatte sich weder die Sehnsucht gelegt, noch hatte der Liebeskummer nachgelassen. Sie war schon oft verlassen worden, nur hatte sie bisher nie so lange gelitten.
„Ich vermisse ihn, aber er will mich nicht wirklich“, gab sie leise zu.
Lena nickte verstehend, sowas in der Art hatte sie sich fast gedacht. Leider konnte sie hier nicht helfen, da sie Ben nicht kannte und nicht wusste, wie sie Kontakt mit ihm aufnehmen konnte.

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